Vortrag 20 Jahre Bahnr(d)eform am 30.11.2013
gehalten von Jörg Podzuweit
Konferenz „Bahn in Brandenburg 2100“
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Ursachen – Regierungskommission Bahn
Bereits in den achtziger Jahren gab es in der Bundesrepublik Deutschland Bestrebungen, an
dem Bestand der Deutschen Bundesbahn (DB) etwas zu verändern. Beinahe regelmäßig
geisterten durch den Bundestag Anträge zur Änderung der rechtlichen Form der Bundesbahn und zur Abschaffung des Beamtentums bei derselben. Interessant ist dabei immer wieder die Anführung des Schuldenberges gewesen, der jedoch einzig und allein infolge politischer Entscheidungen in den fünfziger und sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts entstanden ist. Letztendlich kann man sich des Eindruckes nicht erwehren, dass viele der damaligen Bundestagsabgeordneten (und nicht nur dieser) einen lästigen Gegenstand dauernder Arbeit und Einsprüche einfach nur loswerden wollten. Natürlich werden auch die massive Lobbyarbeit und Interessenvertretung bestimmter Industriezweige ihr Teil zu solchen Einstellungen beigetragen haben. Aufgrund der allgemeinen Stimmungslage in der Bevölkerung und des massiven Einflusses der Gewerkschaften war an solche gravierenden Veränderungen, wie man sie hätte durchführen müssen, jedoch zu der Zeit noch nicht zu denken.
In den Jahren 1989/1990 jedoch war es an der Zeit, die Wende in der DDR auch im gesamten Deutschland für massive politische Umstrukturierungen zu nutzen. Da kamen die Schuldenzahlen der DB und die notwendigen Investitionen bei der Deutschen Reichsbahn (DR) gerade recht. Schon im September 1989 war die Regierungskommission Bundesbahn durch die Bundesregierung eingesetzt worden. Diese war nach dem auch noch heute bekannten Muster besetzt: Man kaufe sich ein paar Wissenschaftler ein, füge dem noch etliche unbedarfte Bundestagsmitglieder (nach Parteienschlüssel) sowie einige Ministerialbeamte bzw.Staatssekretäre hinzu und fertig. Natürlich hatte der größte Teil der Mitglieder dieser Regierungskommission sich im Zusammenhang mit der DB schon einmal einen Namen gemacht.
Meist aber nicht in positiver Hinsicht. Und so vermochte es auch ein Ernst Haar als ehemaliger GdED-Vorsitzender nicht, sich dem vorherrschenden Mainstream einer Privatisierung der DB wirksam entgegenzustellen.
Diese Regierungskommission empfahl nun in ihrem Abschlussbericht vom Dezember 1991,
den zu erwartenden europäischen Vorgaben entgegenzukommen (unter dem Oberbegriff
Liberalisierung bzw. Deregulierung) und Bundes- und Reichsbahn in eine Aktiengesellschaft umzuwandeln. Natürlich bestand auch immer die Möglichkeit, beide gemeinsam als Eigenbetrieb des Bundes zu organisieren. Da wären jedoch viele Synergieeffekte, die man beim Bahnbetrieb gegenüber dem Straßenverkehr positiv kannte, erhalten geblieben. Nur durch die Trennung der Bahnen in die Sparten Fahrweg, Güterverkehr und Personenverkehr und darunter nochmalige Unterteilungen konnte man sicher sein, Synergieeffekte im Bahnverkehr zu verhindern und so eine weitere Schlechterstellung gegenüber der Straße zu erreichen. Hinzu sollte die seitens der EG bereits angestrebte, aber noch nicht in geltendes Recht umgesetzte Öffnung des Schienennetzes für angeblichen Wettbewerb kommen. Die Verkehrsleistungen und der Bau von Strecken, die sich erwartungsgemäß betriebswirtschaftlich nicht rechnen würden, sollten künftig vom Staat bestellt und bezahlt werden. Die Verantwortung für den Schienenpersonennahverkehr sollte einschließlich entsprechender finanzieller Mittel an die Länder übergeben werden. Erwartet wurde damit eine leichte (!) Absenkung der finanziellen Belastung für den Bundeshaushalt. Aufbauend auf diesen Bericht leitete das Bundesverkehrsministerium zum Ende des Jahres 1991 ein entsprechendes Gesetzgebungsverfahren ein.
Zu den damaligen Finanzzahlen: Einer weitgehend schuldenfreien DR (durch die in staatlichem Besitz befindliche Infrastruktur) stand eine mit etwa 34 Milliarden € verschuldete Bundesbahn gegenüber. Mit der ersten Stufe der Bahnreform sollten diese Schulden durch den Bund übernommen werden und das Anlagevermögen auf ein Viertel abgewertet werden.
Neuordnung
Die Neuordnung der staatlichen Bahn in Deutschland geschah dann folgendermaßen: Beide
Bahnen (DB und DR) wurden in einer sogenannten Schaltsekunde innerhalb des Bundeseisenbahnvermögens zu einer Deutschen Bahn (wieder DB) zusammengeführt. In der nächsten Sekunde wurde dann die Deutsche Bahn AG (DB AG) gegründet (aus rechtlichen Gründen). Hier erfolgte die schon genannte Aufspaltung in vier Geschäftsbereiche (GB): GB Personenverkehr mit den Unternehmensbereichen (UB) Nah- und Fernverkehr, GB Güterverkehr, GB Traktion und Werke (zuständig für Schienenfahrzeuge, Betriebs- und Ausbesserungswerke) und GB Netz, zuständig für die Infrastruktur (UB Fahrweg [= Schienennetz] und UB Personenbahnhöfe). In die DB AG wurden des Weiteren nur betriebsnotwendige Gebäude, Grundstücke und Anlagen überführt, alles andere verblieb bei Bundeseisenbahnvermögen (BEV). Dieser Prozess dauerte einige Jahre. Um eine Bilanz mit möglichst hohem Eigenkapitalanteil zu erzielen, wurden insbesondere Grundstücke im Besitz der DB AG mit Einverständnis der zuständigen Ministerialpolitiker viel zu hoch bewertet, was ihren Verkauf bis heute noch immens behindert.
Übersicht zu den neuen Gesetzen bzw. Gesetzesänderungen (die Wichtigsten von etwa
130):
Neue Gesetze:
1. Gesetz zur Zusammenführung und Neugliederung der Bundeseisenbahnen (Bundes-
eisenbahnneugliederungsgesetz – BEZNG)
2. Deutsche Bahn Gründungsgesetz (DBGrG)
3. Eisenbahnneuordnungsgesetz (ENeuOG)
4. Gesetz zur Regionalisierung des Öffentlichen Personennahverkehrs (Regionalisie-
rungsgesetz – RegG)
5. Gesetz über die Eisenbahnverkehrsverwaltung des Bundes (BEVVG)
Geänderte Gesetze:
1. Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland (GG)
2. Allgemeines Eisenbahngesetz (AEG)
3. Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG)
4. Personenbeförderungsgesetz (PBefG)
Der Bundestag stimmte am 02.12.1993 über das Gesetzespaket ab: Mit 558 Ja-Stimmen, 13
Nein-Stimmen und 4 Enthaltungen wurde das gesamte Paket angenommen. Die Änderungen traten am 01.01.1994 in Kraft. Der neue Artikel 87 e des Grundgesetzes besagt im Absatz 4 beispielsweise folgendes: „Der Bund gewährleistet, daß dem Wohl der Allgemeinheit, insbesondere den Verkehrsbedürfnissen, beim Ausbau und Erhalt des Schienennetzes der Eisenbahnen des Bundes sowie bei deren Verkehrsangeboten auf diesem Schienennetz, soweit diese nicht den Schienenpersonennahverkehr betreffen, Rechnung getragen wird.
Das Nähere wird durch Bundesgesetz geregelt.“ Dieses Gesetz wird uns seitdem wohlweislich vorenthalten.
Mit Beschluss des Aufsichtsrates der DB AG vom 04.12.1997 wurde der sogenannten zweiten Stufe der Bahnreform zugestimmt, die bereits in dem geschilderten Gesetzespaket enthalten war. Aus den Geschäfts- bzw. Unternehmensbereichen wurden eigenständige Aktiengesellschaften, die unter dem Dach einer DB AG-Holding zusammengefasst wurden: DB Reise & Touristik AG (heute DB Fernverkehr AG), DB Regio AG, DB Cargo AG (heute DB Schenker Rail AG), DB Netz AG und DB Station & Service AG. Der GB Traktion und Werke wurde auf die Transportgesellschaften aufgeteilt. Die Güterbahnhöfe wurden in einer gesonderten GmbH „DB Umschlagbahnhöfe“ erfasst. Weitere Unternehmensausgründungen folgten: DB Services GmbH, DB Telekommunikation GmbH usw. usf. Insgesamt verfügte die DB z. B. im Jahr 2004 über mehr als 1.200 Tochter- und Beteiligungsgesellschaften.
Weitreichende Folgen
Welche Folgen hatten nun diese umfangreichen Veränderungen?
Der sogenannte Wasserkopf der vorherigen Staatsbahnen war zwar auch nach dem Arbeitsinhalt in Abteilungen gegliedert, doch lediglich regional in vertikaler Richtung aufgestellt (so z. B. Dienststelle, Amt, Direktion, Generaldirektion). Der neuen „Wasserköpfe“ jedoch gab es viel mehr: Jede AG bzw. zentrale GmbH hatte ihre eigene vertikale regionale Gliederung und darunter auch noch die spezifischen Abteilungen – darüber „schwebte“ die Holding zunächst an zwei Orten: Frankfurt am Main und Berlin. Letztendlich sitzt heute die Holding nur noch in Berlin. Die Zentralen der AG’en sitzen heute in: DB Fernverkehr AG – Frankfurt am Main, DB Regio AG – Frankfurt am Main, DB Schenker Rail AG – Mainz, DB Netz AG – Frankfurt am Main, DB Station und Service AG – Berlin. Neu ist seit 2010: Die DB Regio AG und die DB Fernverkehr haben einen Vorstand in Personalunion – den sogenannten DB Vorstand Personenverkehr.
Hunderttausende Eisenbahnerinnen und Eisenbahner verloren ihren Arbeitsplatz – und das „sozial verträglich“. Bluten mussten vor allen Dingen die ehemaligen Reichsbahner, denn ihnen war mit dem Einigungsvertrag eine Verbeamtung, wie sie bei den meisten Bundesbahnern erfolgte, verwehrt worden und damit wurde es relativ leicht, diese in Massen aus der neuen DB AG zu drängen. Zu beschreiben, wie das teilweise geschah, sei mir erspart – es würde auch zu lang werden.
Ein(!) gravierender Webfehler der Bahndeform besteht in der Zuordnung der gesamten Infrastruktur zu einer Aktiengesellschaft. Eine AG ist immer handels- und aktiengesetzlich zu bestimmten Dingen Gewinne und Agieren am Markt betreffend verpflichtet. Dieser Zuordnung verdanken wir zum großen Teil Maßnahmen wie Netz 21 oder andere. Dabei wurde nur noch ein Schrumpfschienennetz übrig gelassen, mit dem wir heute bei einem nur weniger als 5%igen Anstieg des Güterverkehrs nicht einmal in der Lage wären, die Verkehrsleistung zu erbringen. Da auch die Trassenpreise nicht auskömmlich waren und sind, ist das Schrumpfnetz vorprogrammiert gewesen. Mehr als 10.000 km Bundesstraßenneubau stehen etwa 7.000 km Stilllegung von Eisenbahnstrecken seit 1994 gegenüber. Insgesamt sind fast 40 % der Eisenbahninfrastruktur seit der Bahndeform einfach so „verschwunden“. Der Webfehler der Bahndeform die AG’en betreffend lässt jedoch auch mit weiteren bewussten Einschränkungen in Richtung Bahnverkehr begründen – ja sogar als Versuch beschreiben, die Eisenbahninfrastruktur in ihrem Bestand zu gefährden. Keine Infrastruktur weltweit ist in der Lage, sich aus sich selbst zu finanzieren, geschweige denn, Gewinn zu erwirtschaften. Das Gerede von den Gewinnen der DB Netz AG, mit denen Niederlassungskäufe in der ganzen Welt finanziert würden, ist himmelschreiender Unsinn. Im Gegenteil: Welche Kreisstraße wird regelmäßig darauf geprüft, wie viel Autos täglich auf ihr unterwegs sind? Und bei zu geringen Zahlen wird sie dann geschlossen, oder?
Brandenburg steht bei den Verkehrseinstellungen und Stilllegungen in vorderster Reihe: Seit 1996 wurde auf 639,5 km Eisenbahnstrecken in Brandenburg der Verkehr eingestellt. Weitere 81,8 km sind von Einstellung lt. neuem Landesnahverkehrsplan betroffen. Gefährdet sind noch weitere 220,4 km. Wir kommen vielleicht im Brandenburg des Jahres 2018 auf 941,7 km und befinden uns dann unter den bundesweiten Spitzenreitern.
Auch auf Personenbahnhöfe hat die ausschließlich gewinnorientierte Ausrichtung Auswirkungen. Denn natürlich muss eine AG, wie schon beschrieben, betriebswirtschaftlich rechnen. Und bei ausbleibenden Zuschüssen für die Bahnhöfe vom Bund (das Schienennetz bekommt diese ja, weil man ansonsten dort nicht mehr fahren könnte …) muss sich das Unternehmen DB Station und Service AG auf Bahnhöfe konzentrieren, die auskömmlich sind und mit denen der Rest wenigstens einigermaßen mitfinanziert werden kann. So sehen dann auch viele Bahnhöfe in der Brandenburger Fläche (und anderswo) aus. Daher auch die sogenannten Shopping-Bahnhöfe, mit denen man hofft, mehr Geld einzunehmen und eine gewisse Mitfinanzierung der Flächenstationen zu erreichen.
Als tolles Modell wurde uns im Rahmen der Bahndeform immer die Regionalisierung des Schienenpersonennahverkehrs (SPNV) verkauft. Sicher ist mit dieser Verschiebung der Zuständigkeit gelungen, die Verantwortung dahin zu geben, wo sie eigentlich auch hingehört.
Nur hört sie damit auch an Ländergrenzen auf – und das ist immer wieder zu bemerken. Geschafft wurde eine absolute Erhöhung der Verkehrsleistung im SPNV in Zug-km um etwa 14 % und eine Erhöhung der Verkehrsleistung in Pkm um etwa 10 %. Entgegen Brandenburg gibt es Bundesländer, in denen Reaktivierungen von Bahnstrecken stattfanden. Angesichts des im Jahr 2010 erreichten Peak Oil und der zu erwartenden weiteren Verteuerung fossiler Energie ist davon auszugehen, dass der Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) und insbesondere der SPNV in ihrer Bedeutung massiv zunehmen werden. In Brandenburg sind wir aufgrund der restriktiven Verkehrs- und Finanzpolitik der Landesregierung nicht dafür gerüstet. Und wir stoßen immer wieder neu an Grenzen – ob mit dem derzeit nicht gerade innovativen Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB) oder mit den unzureichend zur Verfügung stehenden Verkehrstrassen auf der Schiene oder mit den nicht ausreichenden Geldern zur Finanzierung des SPNV / ÖPNV. Das Land Brandenburg kofinanziert die Durchführung des ÖPNV / SPNV seit 1998 nicht mit eigenen Finanzmitteln aus dem Landeshaushalt. Hinzu kommt, dass eine fachliche Aufsicht über den zunehmend berlinorientierten VBB mit dem Personalbestand des Ministeriums für Infrastruktur und Landwirtschaft schlichtweg nicht möglich ist. Und trotz Revisionen des Regionalisierungsgesetzes ist es nicht gelungen, vor dem Hintergrund steigender Energie- und Personalkosten eine auskömmliche Finanzierung des SPNV zu gewährleisten.
Der Schienenpersonenfernverkehr hat eine ganz andere Bilanz aufzuweisen. Die stetig ansteigenden bzw. stabilen Fahrgastzahlen bis zum Jahre 2000 konnten seitdem niemals wieder erreicht werden. Die Abschaffung des Interregio-Netzes ist wohl die Hauptursache dafür.
Waren es in den Jahren 1995 bis 2000 immer um die 150 Millionen Fahrgäste jährlich, so
liegt der Bahnfernverkehr heute bei etwa 120 Millionen pro Jahr. Auch in diesem Bereich ist es Brandenburg nicht gelungen, für seine Bürgerinnen und Bürger positiv zu wirken. Während es Kommunen wie Montabaur und Limburg zusammen mit ihren Bundesländern Rheinland-Pfalz und Hessen gelungen ist, sogar auf einer Schnellfahrstrecke, die mit 350 km/h befahren wird, Bahnhöfe zu bekommen, an denen auch gehalten wird, ist in Brandenburg das Gegenteil der Fall. Der Südwesten des Landes ist vom Fernverkehr auf der Schiene vollkommen abgekoppelt – wer weiter weg mit dem Zug fahren will, muss immer erst nach Lutherstadt Wittenberg oder Halle (Saale) fahren. Selbst für die Landeshauptstadt Potsdam ist, wie für Cottbus, nur noch ein IC-Zugpaar pro Tag übrig geblieben. Anderen Städten geht es noch schlechter. Einer vollkommen verfehlten Politik des Bundes und der DB AG steht hier noch eine verfehlte und innovationslose Politik des Landes zur Seite.
Den radikalsten Schnitt gab es wohl beim Schienengüterverkehr. Mit dem im Jahr 2000 aufgesetzten Maßnahmeplan MORA C wurden bundesweit über 70 % der Zugangsstellen zum Schienengüterverkehr beseitigt und der Stückgutverkehr fast vollständig eingestellt. Entsprechend sehen auch die Zahlen der beförderten Tonnage auf den Schienen aus. Wurden 1991 noch 4169 Millionen t befördert, waren es 2010 noch 310 Millionen t. Immer noch liegt der Hauptanteil des Schienengüterverkehrs mit fast 50 % Anteil beim Einzelwagenladungsverkehr. Hier wäre es schon lange nötig, das gesamte Transportsystem innovativ umzustellen, um das Haupthindernis für schnellere Transportgeschwindigkeiten, das Umstellen von Zügen und Waggons mittels Rangieren auf größeren Verschiebebahnhöfen, zu unterbinden. Die durchschnittliche Geschwindigkeit eines Gutes auf der Schiene liegt heute nämlich nur bei ca. 23 km/h. Das und der massive und ersatzlose Rückzug aus der Fläche haben zu den heutigen Transportzahlen beigetragen.
Und auch hier leistet das zuständige Brandenburger Ministerium heute eine „tolle“ Arbeit: Mit den Verkehrseinstellungen des SPNV auf bestimmten Linien, z. B. in der Prignitz, wird auch der Vorhalt der Infrastruktur für den SGV teurer und damit die dafür einzunehmenden Trassenpreise. Das führt dann zu Einstellung auch des SGV und damit z. B. auch zum Weggang von Firmen, die auf diesen angewiesen sind (wie z. B. ein Biodieselhersteller). (In Brandenburg ist von 1996 bis heute z. B. auf 639,5 km Schienenstrecken der Verkehr eingestellt worden. Ein Spitzenplatz in Deutschland!)
Bilanz
Das Anliegen der Bahndeform, mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen, ist insgesamt nicht erreicht worden. Der einzige Sektor, in dem das ansatzweise erreicht wurde, ist der SPNV.
Und in diesem Bereich droht dieser Ansatz aufgrund fehlender Finanzierungen und Trassen und … und … und …wieder zerstört zu werden. Auch eine Schuldenentlastung wurde im Endeffekt nicht erreicht – die DB AG hat mit etwa 27 Milliarden € Schulden heute einen neuen Höchststand erreicht. Das Eigenkapital umfasst derzeit nur noch etwa 16 % in der Konzernbilanz. Da die DB AG ein zu 100 % in staatlichem Besitz befindlicher Konzern ist, muss davon ausgegangen werden, dass diese Verpflichtungen, werden sie nicht zwischenzeitlich getilgt, vom Staat – d. h. letztendlich vom Steuerzahler – zu tragen sind. Damit wäre auch das nächste Ziel der Bahndeform nicht erreicht. Und auch hinsichtlich der Daseinsvorsorge, die ja bewusst noch im Artikel 87 e des Grundgesetzes festgeschrieben wurde, ist es nicht zum Besten bestellt. Im Personenfernverkehr und im Güterverkehr sind statt Steigerungen massive Rückgänge zu verzeichnen. Es genügt eigentlich, sich die Fern- und Nahverkehrsanbindungen auf der Schiene oder die Bahnhöfe – sprich: Zugangsstellen – in der Fläche Brandenburgs oder auch Mecklenburg-Vorpommerns anzuschauen, um einen Eindruck von dieser Bahndeform zu bekommen.
Und immer noch gibt es Politiker wie den Herrn Bodewig oder den Herrn Cramer, die nur in einer Intensivierung des Wettbewerbs eine Lösung für diese Misere sehen. Dass schlussendlich auch Wettbewerb Regeln braucht, wird gar nicht erst bemerkt. Natürlich hat sich der sogenannte Wettbewerb auf der Schiene, insbesondere im SPNV, für die Reisenden erst einmal positiv ausgewirkt. Mehr und bessere Angebote und für die Besteller Geldeinsparungen in Millionenhöhe – das gäbe natürlich größere Spielräume unter anderem für mehr Verkehre, wenn man denn die Gelder auch dafür verwenden würde. Aber schauen wir einmal auf die andere Seite: Lohndumping miesester Art, soziale Bedingungen für die Beschäftigten, die weit auch nur hinter den geringsten humanen Anforderungen (z. B. Möglichkeit des WC-Besuchs u. ä.) zurückbleiben usw. Auch die Besteller, namentlich Brandenburg, versuchen unter Umgehung festgeschriebener Gesetze solches noch weiter zu befördern. Mit der Qualifikationsanforderung „Fachkraft für Nahverkehrsservice“, einer 14tägigen Schulungsmaßnahme des VBB, einst für Busfahrer zur Steigerung von Freundlichkeit und Bewältigung von Stresssituationen gedacht, in Ausschreibungsunterlagen für den SPNV wird ein gesamtes Berufsbild zerstört. Die in ehemaliger Sprachregelung Zugbegleiter, heute Kundenbetreuer im Nahverkehr (KiN), haben eine abgeschlossene Berufsausbildung mit IHK Abschluss in der Tasche. Aber sie müssen auch gemäß geltender Tarifverträge bezahlt werden. Die „Fachkraft für Nahverkehrsservice“ findet sich in keiner tarifvertraglichen Zuordnung. So umgeht die Brandenburger Landesregierung eigene Gesetze, die zum Schutze der abhängig Beschäftigten in der Branche geschaffen wurden. Und andere Bundesländer folgen dem, was irgendwann zur Auslöschung eines gesamten Berufsbildes führen könnte. Von der Sicherheit der Fahrgäste im Zug einmal ganz abgesehen …Es ist nämlich nicht zu erwarten, dass eine „Fachkraft für Nahverkehrsservice“ weiß, was eine Schrittspannung ist und wie sie sich im Gefahrenfall auf ihre Fahrgäste auswirken könnte. Von Gegenmaßnahmen ganz zu schweigen.
Abschließend ist es eigentlich eine eher erschreckende Bilanz, die man zur Bahndeform oder mit behördlichem Titel „Bahnreform“ ziehen muss. Im Großen und Ganzen ist kein gestelltes Ziel erreicht worden – doch der gerade in Flächenländern wie Brandenburg angerichtete Schaden ist mittlerweile immens. Und es geht immer weiter – Revision des Regionalisierungsgesetzes im Jahr 2014, unzureichende Finanzmittel für die vorbeugende Instandhaltung der Eisenbahninfrastruktur (mehr als 1.400 Brücken sind sperrungsgefährdet) usw.
Es gilt das gesprochene Wort.