Plädoyer von Heike – Verhandlung wg. Südflügeldachbesetzung

Plädoyer Heike W. (11.11.2013)

Gerichtsverhandlung wegen Besetzung des Südflügeldachs am 12. März 2012

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Zum Abschluss möchte ich doch noch ein paar Worte sagen.

Über die Fakten wie Fehlplanung, Ignoranz, Gewalt und Verlust der Demokratie im Fall S21 wurde von meinen Mitstreiterinnen und Mitstreitern schon einiges gesagt.

Warum ich auf dem Dach des halb abgerissenen Südflügels des Stuttgarter Hauptbahnhofs war, kann ich ihnen erklären.

Für mich persönlich war der 12. März 2012 ein guter Tag. Davon hatte ich in den letzten Jahren im Widerstand gegen S21 zum Glück einige. Kurz möchte ich auf eine Auswahl an nicht schönen Tagen eingehen.

Der 30. September 2010 – nicht ohne Grund der „Schwarze Donnerstag“ genannt. Krieg im Stuttgarter Schloßgarten. Platzwunden, Wasserwerfer, Polizeigewalt, Wut, Tränen, Entsetzen. Zur gleichen Zeit sitzen die Verantwortlichen Politiker und die Polizeichefs, die Planer von S21 und diesem Tag im Trockenen.

Und die, die von nichts wissen, oder kein Interesse haben, shoppen weiter in der Königstraße…

Der 1. Februar 2011. Zusammen mit einigen anderen Widerständlern blockiere ich am ehemaligen Nordflügel und danach am Grundwassermanagement die Baustelleneinfahrt, wo bis heute keine endgültigen Planfeststellungsverfahren rechtskräftig abgeschlossen sind. Daraufhin wurden ich und ca. 10 weitere Personen von der Polizei eingekesselt, also auf der Straße festgehalten. Da standen wir bei -8 Grad über eine Stunde lang. Wir wurden draußen durchsucht und unsere persönlichen Sachen konfisziert. Bei der Frage danach, wie lange es evtl. noch dauern könnte, da ich meinen Sohn (damals 1. Klasse) um die Mittagszeit von der Schule abholen müsse, wurde mir geantwortet: Das hätte ich mir ja vorher überlegen können, bevor ich SOWAS mache…

Darauf habe ich dem Polizisten geantwortet: Genau deshalb mache ich solche Sachen, WEIL ich ein Kind habe!

Wir wurden in Gewahrsam genommen und bis nachmittags festgehalten.

Gegen diese ungerechtfertigte Polizeimaßnahme habe ich und die weiteren Betroffenen, Klage gegen das Land Baden-Württemberg eingereicht.

In der Nacht vom 14.-15. Februar 2012 wird in einer Nacht- und Nebelaktion mit einer schier unglaublichen Übermacht an Polizei der Park geräumt. Jetzt war der Tag bzw. die Nacht gekommen, die wir immer gehofft hatten zu verhindern.

Mit fehlte nicht der Mut, mir fehlte nicht die Motivation, alles zu tun um solange wie möglich die Bäume zu schützen, wie in meiner Macht lag.

Ich kettete mich nicht an. Ich stieg auch auf keinen Baum.

Ich dachte vielleicht kann ich mehr erreichen, wenn ich flexibel bleibe.

Heute weiß ich, dass das naiv war.

Wir hatten keine Chance.

Die Polizei kam in riesigen Truppen.

Am Ende war ich so aufgebracht, dass ich mich in dieser Nacht nicht habe räumen lassen wollen.

Ich war zu wütend, ich konnte mich nicht von der Polizei anfassen lassen.

Nicht in dieser Nacht.

Dann verließ ich irgendwann den Park, in dem Wissen, dass die letzten Menschen noch geräumt, das Zeltdorf zerstört und die Bäume in den nächsten Stunden gefällt werden.

Ich hatte das Gefühl, nicht genug getan zu haben.

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Der 12. März 2012.

Ein guter Tag.

Wir besetzten das Dach des Südflügels des Stuttgarter Hauptbahnhofs.

Wir stoppten die Abrissarbeiten für einige Stunden. Wir waren öffentlichkeitswirksam, wir konnten aufmerksam machen auf das Unrecht Stuttgart 21.

Ich hatte das Gefühl, genug getan zu haben für den Südflügel.

Warum geh ich also vor Gericht?

Warum sollte ich den Strafbefehl über 10 Tagessätze a 20 Euro nicht einfach annehmen und bezahlen?

Schließlich gehört das ja auch zum zivilen Ungehorsam, die Strafe auf Basis der geltenden Gesetze für seine Handlungen bewusst in Kauf zu nehmen.

Wie wird ziviler Ungehorsam definiert?

… Durch den symbolischen, aus Gewissensgründen vollzogenen und damit bewussten Verstoß gegen rechtliche Normen zielt der handelnde Staatsbürger mit einem Akt des zivilen Ungehorsams auf die Beseitigung einer Unrechtssituation und betont damit sein moralisches Recht auf Partizipation.

Interessant ist für mich die Frage, warum die einen es tun und die anderen nicht.

Haben andere keine Gewissensbisse und arrangieren sich lieber mit den Unrecht?

Vielleicht auch, weil man ja nicht direkt betroffen ist.

Oft fehlt den Menschen einfach nur an politischem Bewusstsein oder genügend Information.

Eigenständige Meinungen zu gewinnen ist nicht einfach und vor allem nicht gewollt, im Zeitalter permanenter Desinformation und Medienmanipulation. Außerdem sind die bestehenden Gesetze und/oder demokratisch gefassten Entscheidungen nicht der Weisheit letzter Schluss.

Ich sah mich also in der Pflicht an diesem Tag Informationen über den Stresstestbetrug weiterzutragen.

Ich habe nichts kaputt gemacht.

Ich habe einen Hausfrieden gebrochen, den es nicht mehr gab.

 

Abschließend ein treffendes Gedicht von Bertolt Brecht:

GEGEN DIE OBJEKTIVEN

Wenn die Bekämpfer des Unrechts
Ihre verwundeten Gesichter zeigen
Ist die Ungeduld derer, die in Sicherheit waren
Groß.

Warum beschwert ihr euch, fragen sie
Ihr habt das Unrecht bekämpft! Jetzt
Hat es euch besiegt: schweigt also!

Wer kämpft, sagen sie, muß verlieren können
Wer Streit sucht, begibt sich in Gefahr
Wer mit Gewalt vorgeht
Darf die Gewalt nicht beschuldigen.

Ach, Freunde, die ihr gesichert seid
Warum so feindlich? Sind wir
Eure Feinde, die wir Feinde des Unrechts sind?
Wenn die Kämpfer gegen das Unrecht besiegt sind
Hat das Unrecht doch nicht recht!

Unsere Niederlagen nämlich
Beweisen nichts, als daß wir zu
Wenige sind
Die gegen die Gemeinheit kämpfen
Und von den Zuschauern erwarten wir
Daß sie wenigstens beschämt sind!

 

Sie haben die Möglichkeit den Kreislauf zu durchbrechen.

Sprechen Sie mich und meine Mitstreiterinnen und Mitstreiter frei.

 

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